Europa nach der „Klimawahl“: Umweltverbände fordern Klimaneutralität bis spätestens 2050, Neustart in der Agrarpolitik und Vizepräsidenten für Natur und Klima.
Die Umweltverbände BUND, NABU und WWF fordern, dass der Umweltschutz in den kommenden Jahren oberstes Ziel in Europa wird. Bei dem am Donnerstag beginnenden Gipfeltreffen zur künftigen Strategie der EU sollten die Staats- und Regierungschefs die größten Umweltprobleme zur Chefsache machen: Dazu gehören die Erdüberhitzung und das Massenartensterben.
Die Verbände fordern zudem Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, einen Neustart in der EU-Agrarpolitik auf die Strategische Agenda der EU zu setzen und das Ziel der Treibhausgasneutralität bis allerspätestens 2050 in der EU voranzutreiben. Auch ein Ende der Überfischung bis 2020 und die ambitionierte Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) bis 2027 sind dringend erforderlich. Beide Ziele sind bereits beschlossen, erreicht hat die EU diese jedoch noch lange nicht.
Die Europawahl sei ein klarer Auftrag an die EU und Mitgliedstaaten, dem Umwelt- und Klimaschutz endlich Vorrang einzuräumen. Einem Großteil der Bevölkerung ist bewusst, dass die Grenzen der planetaren Belastbarkeit überschritten sind, beim Artensterben genauso wie bei der Klimakrise. Diesem Auftrag müsse die EU nun gerecht werden.
Das Wahlergebnis werten die Verbände auch als Signal an die Bundesregierung. Die Große Koalition habe es in den vergangenen Jahren verpasst, Antworten auf die Umweltprobleme zu liefern und Wirtschaft und Gesellschaft auf die erforderlichen Veränderungen vorzubereiten. In Brüssel trete die Bundesregierung in vielen Bereichen des Klima- und Umweltschutzes als Bremser auf. Nun liege es an CDU/CSU und der SPD, sich glaubwürdig für den Schutz unserer Lebensgrundlagen einzusetzen und in Brüssel alle dazu erforderlichen Schritte voranzutreiben.
„Es ist ein erster Schritt, dass die Bundesregierung nun das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 mittragen will. Aber nun muss sie sich auch dafür einsetzen, dass alle anderen Mitgliedsstaaten sich auf dieses Mindestmaß einigen. Außerdem gilt es, dieses Ziel in einen weitaus ambitionierteren Beitrag zum Pariser Klimaabkommen (NDC) zu übersetzen. Positioniert sich die EU hier als Vorreiter, kann sie andere Länder mitreißen“, sagt Michael Schäfer, Leiter Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland.
„Das Aussterben von Millionen von Tier- und Pflanzenarten bedroht uns Menschen genauso stark wie die Folgen des Klimawandels. Funktionierende Ökosysteme sind Grundlage unseres Lebens. Um diese zu sichern, brauchen wir dringend ein Umdenken, weg von einer auf ständiges Wachstum ausgelegten Wirtschaftspolitik hin zu einer kohlenstofffreien und nachhaltigen Wirtschaft. Mindestens 40 Prozent des künftigen EU-Haushalts müssen daher zur Erreichung der Ziele im Klima-, Natur- und Biodiversitätsschutz beitragen und umweltschädliche Subventionen müssen gestoppt werden“, sagt Olaf Bandt, Bundesgeschäftsführer beim BUND.
NABU-Präsident Olaf Tschimpke: „Die Rettung der Artenvielfalt sollte spätestens jetzt ganz oben auf der Agenda jedes Staats- und Regierungschefs sein. Und dazu muss ausreichend Geld bereitstehen: mindestens 15 Milliarden Euro pro Jahr im EU-Haushalt. Die EU sollte damit Landwirte belohnen, die sich für den Schutz von Arten, Lebensräumen und des Grundwassers einsetzen. Mit dem Förderprinzip ‚Masse statt Klasse‘ muss endlich Schluss sein.“
Um dem Umweltschutz insgesamt mehr Gewicht zu verleihen, fordern die Verbände einen besseren Aufgabenzuschnitt innerhalb der EU-Kommission. Grundsätzlich sollten die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) das Leitprinzip aller Prioritäten der EU sein. Ihre Umsetzung müsse Chefsache werden und demnach direkt beim Kommissionspräsidenten angesiedelt sein. Für die beiden drängendsten Herausforderungen Klimaschutz und Schutz natürlicher Ressourcen sind je ein Vizepräsident erforderlich.